Europäische Friedensbewegung wächst zusammen - von Hans-Peter Richter
Am 21. Juni kamen Vertreter aus 10 europäischen Ländern zusammen, um über
Aktionen gegen die drohende Militarisierung Europas zu beraten. Der Anstoß
dazu ging vom Jahrestreffen des Weltfriedensrates in Athen aus, das dort vom
6.-9. Mai stattgefunden hatte. Dort war keine Diskussion über einen
gemeinsamen Aktionsplan mehr zustande gekommen, umso dringlicher empfanden
die europäischen Gruppen, das nachzuholen. Deshalb lud die portugiesische
Friedensbewegung, die für die Europa-Koordination im Weltfriedensrat
zuständig ist, zu einem Treffen nach Berlin ein. Der Gastgeber Deutscher
Friedensrat lud seinerseits deutsche Gruppen ein, die an einer europäischen
Zusammenarbeit interessiert sind. Wir waren sehr froh, dass wir dazu auch
den Bundesausschuss Friedensratschlag gewinnen konnten. Zu dieser kleinen
Konferenz kamen 27 Aktive aus 10 Ländern (Belgien, Deutschland, Frankreich,
Griechenland, Großbritannien, Niederlande, Portugal, Russland, Spanien und
Tschechische Republik). Im Haus der Rosa-Luxemburg-Stiftung fanden wir
optimale Bedingungen und hatten sogar Simultanübersetzung in deutsch,
englisch und französisch.
Zunächst analysierte der neu gewählte Abgeordnete des Europa-Parlamentes
Tobias Pflüger den Verfassungsentwurf für eine Europäische Verfassung, der
gerade wenige Tage vorher von den Regierungschefs der 25 EU-Staaten
unterschrieben worden war. Er betonte, wie wichtig es sei, darauf
hinzuweisen, dass die EU-Verfassung damit nicht in Kraft gesetzt wurde,
sondern dass dazu ein langer Ratifizierungsprozess nötig ist. Es ist
vorgesehen, dass die EU-Verfassung 2009 in Kraft tritt. Bis dahin muss sie
in allen 25 Beitrittsländern ratifiziert werden. In mindestens 5 Ländern
wird es eine Volksabstimmung geben, zuerst in Irland und Dänemark. In beiden
Ländern ist die Zahl der Gegner der EU (-Verfassung) groß. Zum Inhalt der
Verfassung verweise ich auf den Artikel "Hinter die Nebelwand blicken", der
auch im letzten FriedensJournal veröffentlicht wurde . Zusätzlich führte
Tobias aus, dass nach III (210) Kampf-Einsätze in Drittstaaten vorgesehen
sind. Weder haben die Parlamente über militärische Einsätze zu entscheiden
(das Parlament wird nur "auf dem laufenden gehalten"), noch gibt es
gerichtliche Überprüfungen. Der Europäische Gerichtshof darf ausdrücklich
nicht über Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik entscheiden. Damit ist
die Gewaltenteilung aufgehoben. Nach den Vorbedingungen, die die EU selber
an neue Beitrittskandidaten stellt, muss es im Bewerberland Gewaltenteilung
geben. Die EU selber gibt sie bei der Militärpolitik auf.
Erschreckende Visionen liefert auch die Bestimmung in der Verfassung, nach
der es Kriegsallianzen einiger Staaten geben darf, die dann selber
entscheiden wo, wann und wieviel Soldaten ihrer "battle groups" sie
einsetzen. Die anderen Mitgliedsstaaten haben dazu kein Mitspracherecht.
Die EU-Sicherheitsstrategie entspricht der US-Sicherheitsstrategie,
insbesondere für zukünftige Präventivkriege. Der erste Präventivkrieg der
neuen Art war der Krieg gegen den Irak. Nach dieser Logik wird die
Sicherheit Deutschlands in Afghanistan verteidigt. Das wäre so, als würde
China erklären, es müsste Truppen in Hamburg stationieren, um seine
Sicherheit zu gewährleisten.
Nach diesem Grundsatzreferat berichteten die Teilnehmer aus ihren Ländern.
Portugal schlug vor, die Friedensbewegung solle ein kollektives
Sicherheitssystem vorschlagen, bei dem der Krieg als Mittel der Politik
abgeschafft wird, in dem sich die einzelnen Staaten nicht bedroht fühlen.
Dazu gehört auch eine umfassende Abrüstung, insbesondere der Atomwaffen, die
Schaffung von atomwaffenfreien Zonen und die Auflösung von
Militärstützpunkten.
In Frankreich will die Friedensbewegung ein Referendum über die Europäische
Verfassung erreichen. Sie lehnt die Verfassung rundweg ab, es ist auch keine
Verbesserung möglich. Damit befindet sie sich aber im Lande in der
Minderheit. Um etwas Positives entgegenzusetzen haben sie eine
Unterschriftensammlung für einen neuen Artikel 1 gestartet (siehe Kasten).
Wichtig sind ihnen auch Aktionen gegen Atomwaffen. Deshalb haben sie sich
auch am Vorbereitungstreffen für die NPT-Überprüfungskonferenz in New York
beteiligt. 2005 wird dort (wie alle 5 Jahre) über Atomwaffen verhandelt.
Dabei kommt es ihnen darauf an, nicht nur die Weiterverbreitung zu stoppen,
sondern dass auch die Abrüstungsverpflichtung der Atommächte eingehalten
wird. Sie beteiligen sich aktiv an der Initiative der Bürgermeister von
Hiroshima und Nagasaki zu einer weltweiten Aktion zur Abschaffung der
Atomwaffen, die am 6. August 2005 in Hiroshima ihren Höhepunkt haben soll.
Sie werden mit einer großen Delegation nach Hiroshima fliegen.
Aus Deutschland wurde berichtet, dass die Friedensbewegung sich lange Zeit
nicht um Europa gekümmert hat, weil man die europäische Einigung generell
als etwas Gutes angesehen habe, was auch einen deutschen Nationalismus
einschränken würde. Erst jetzt sei man wegen der Militarisierung der EU und
der EU-Verfassung aufgewacht. So war das eins von zwei Hauptthemen der
diesjährigen Ostermärsche. Die deutsche Sektion des Europäischen
Friedensforums (epf) wird aktiv die Bewegung für ein Irak-Tribunal fördern.
Der Vertreter aus England kam von der altehrwürdigen Kampagne für nukleare
Abrüstung (CND). Atomwaffen sind für die CND Angriffswaffen und gehören
abgeschafft. In England würde beim geplanten Referendum über die
EU-Verfassung aus zwei Gründen wahrscheinlich mehrheitlich mit "Nein"
gestimmt. Einmal von den Anti-Europäern und andererseits weil man auch gegen
ein EU-Empire ist. Unbedingt sei eine Zusammenarbeit mit dem Europäischen
Sozialforum (ESF) zu empfehlen, zumal das in London stattfindet. Dort muss
die Friedensbewegung sichtbar sein und ihr "Nein" zur EU-Militarisierung
muss in die Medien gelangen.
Der Vertreter der Friedensbewegung in Griechenland wies auf die Proteste
gegen die NATO Konferenz vom 26. - 29. Juni in Istanbul hin, und forderte
alle zur Solidaritätsaktionen und Teilnahme auf.
Der niederländische Vertreter führte aus, dass der so genannte Krieg gegen
den Terror Propaganda ist. Er erinnerte an die vielen politischen Morde und
Militäraktionen der USA (11. 9. 1973 gegen Chile, 15. 4. 1986 gegen Tripolis
und Bengasi, Sudan, Afghanistan, School of Americas, Lumumba, Castro, etc.).
Daher treiben die USA Staatsterror.
Aus der Tschechischen Republik kam folgender Bericht: Die Bevölkerung hat
keine Kenntnis über den Inhalt der EU-Verfassung. Die Politiker behaupten,
es gäbe keine Alternative. Daher ist Aufklärung nötig und wir müssen auch
eine Alternative zeigen. Die tschechische Friedensgesellschaft hat schon in
Athen bei Weltfriedensrat alternative Vorstellungen vorgetragen. Danach
sollte Europa eine Region des Friedens werden, es muss Volksabstimmungen
geben und eine internationale Zusammenarbeit mit allen Friedenskräften.
Der russische Vertreter ist Mitglied des Europäischen Friedensforums, das
kürzlich in Athen Mitglied des Weltfriedensrates wurde. Er sieht Gefahren
für den Frieden durch die Macht der Konzerne, die ganze Kontinente bedrohen.
Sie könnten alles kaufen: Waffen, Menschen, Privatarmeen. Die europäische
Einheit könnte dem widerstehen. Das Völkerrecht und auch der Volkswille
(siehe weltweite Demonstrationen am 15. 2.) wird durch die USA ignoriert.
Mulinationale Militärs werden nicht nur Kriege nach außen führen, sondern
auch Unterdrückung nach innen gegen Gewerkschafter und Dissidenten. Das
heutige Russland würde die USA unterstützen, sei reaktionär und auf dem Weg
in eine Militärdiktatur. Wir müssen neue Slogans und neue Widerstandsformen
entwickeln, z.B. "USA raus aus der UN! Die USA darf nicht Gastgeber der UN
sein, weil die UN damit im Herz der Bestie angesiedelt ist.
Die Versammlung war sich darüber einig weiterhin koordiniert
zusammenzuarbeiten, insbesondere auf folgenden Feldern:
- gegen diese EU-Verfassung, insbesondere gegen die "battle groups", die
Speerspitze der EU-Militarisierung,
- beim ESF,
- durch gemeinsame Aktionen gegen die Militarisierung,
- durch gemeinsame Aktionen, jeweils in den Ländern, die den
EU-Ratspräsidenten stellen,
- durch kontinuierliche regelmäßigeTreffen in Straßburg oder Brüssel. Ein
Treffen mit den EU-Parlaments-Abgeordneten wird für den 6. 9. in Brüssel
vorbereitet,
- Gemeinsame Aktionen zum 8. Mai 2005 und zum 6. August 2005. Dazu sollen
entsprechende Appelle erarbeitet und veröffentlicht werden,
- Solidarität mit den Aktionen gegen den NATO-Gipfel in Istanbul am 26.-
29. Juni,
- Aufklärungsaktion über die EU-Verfassung anlässlich des Antikriegstages
(1. September).
Am Rande dieser Konferenz wurden mit der französischen Friedensbewegung
folgende Absprachen getroffen:
- Wir besuchen uns gegenseitig bei den nationalen Jahrestreffen (Kassel am
4. und 5. Dezember 2004). Wann das französische stattfindet wird noch
bekannt gegeben.
- Wir veranstalten ein deutsch / französisches Seminar am 17. November in
Straßburg.
- Wir erarbeiten eine deutsch / französische Broschüre gegen die
EU-Militarisierung.
Die europäische Friedensbewegung wächst zusammen, im Rahmen des ESF aber
auch außerhalb. Wichtig ist jetzt, dass es gelingt die Kräfte zu bündeln.
Durch die neuen EU-Abgeordneten, von denen wir viele persönlich kennen,
haben wir neue Möglichkeiten der gegenseitigen Information und
Einflussnahme, die es zu nutzen gilt.
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