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Cost of the War in Iraq
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20. April 2004:

Soziale Bewegungen verändern sich -
Aufgaben und Perspektiven für die Werkstatt für Gewaltfreie Aktion Baden
von Jochen Stay

Ich habe in der letzten Zeit in mehreren Artikeln und Vorträgen den Begriff der "Generation attac" benutzt und ich möchte auch hier noch einmal erläutern, was ich damit meine. Wir erleben ja in den letzten Jahren so etwas, wie die Renaissance der Protestbewegungen: Proteste gegen den Irak-Krieg, die globalisierungskritische Bewegung, den anhaltenden Widerstand gegen Castor-Transporte und die Demos gegen den Sozialabbau, um nur einmal einige Beispiele zu nennen. Noch nie - vielleicht mit Ausnahme der Zeit der Friedensbewegung Anfang der 80er - haben in der Bundesrepublik so viele Menschen an mindestens einer Demonstration teilgenommen, wie in den letzten Jahren.

Getragen werden diese Proteste im Wesentlichen von dieser "Generation attac", die ich gar nicht mit den Mitgliedern der Organisation gleichsetzen möchte. Was zeichnet diese "Generation attac" besonders aus und was unterscheidet sie damit von früheren Protestgenerationen?

Die "Generation attac" besteht einerseits aus vielen jungen Menschen, aber auch aus erstaunlich vielen Älteren, die nach Jahren der Resignation neu aktiv geworden sind - übrigens im Osten wie im Westen der Republik.

Die "Generation attac" wendet sich gegen Krieg, Umweltzerstörung, globale Unge-rechtigkeit und Sozialabbau. Sie ist immer dort aktiv, wo es gerade am Nötigsten ist. Die Zeit der Ein-Punkt-Bewegungen ist vorbei, zwar vielleicht noch nicht bei den Hauptamtlichen in den NGOs, aber auf jeden Fall an der aktiven Basis der Bewegungen.

Die "Generation attac" hat es so leicht wie keine vor ihr. Denn noch nie war die Teil-nahme an einer Protestveranstaltung so normal wie heute. War das Demonstrieren in der "alten" Bundesrepublik noch ein Ausdruck von Gegenkultur zum herrschenden Mainstream und führte vielerorts zu heftigen Familienkonflikten, so werden heute viele Jugendliche von ihren Eltern geradezu ermuntert, auf die Straße zu gehen. Und es macht sich bemerkbar, dass es zumindest im Westen inzwischen in jeder Alterstufe unzählige Menschen gibt, für die das Mitstreiten in einer der zahlreichen Protestbewegungen seit den 50er Jahren Teil ihrer Biographie ist und für die es deshalb in bestimmten zugespitzten politischen Situationen gar kein so großer Schritt ist, erneut auf die Straße zu gehen. Ein zusätzlicher Vorteil kann es manchmal sogar sein, dass inzwischen ja viele Ex-Bewegte an Schlüsselstellen der Gesellschaft sitzen, beispielsweise in Zeitungsredaktionen, Behörden oder Gerichten.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Natürlich ist mir bewusst, dass es immer noch eine Minderheit ist, die sich an Protesten beteiligt und die gesellschaftliche Mehrheit sich machtlos wähnt, aber die politisch aktive Minderheit ist in letzter Zeit eher gewachsen.

Die "Generation attac" hat die Trennung von den vormals wichtigen MitstreiterInnen aus der grünen Partei gut verdaut. Längst wurde aus dem Jammern über grünes Umfallen in der Militär-, Atom- oder Sozialpolitik ein neues Selbstbewusstsein. In vielen Politikfeldern sind die Aktionsgruppen, Initiativen und NGOs wieder zu einer Art außerparlamentarischen Opposition geworden. Sie sind dabei zu lernen, wie sich politische Erfolge erzielen lassen, spielen immer öfter professionell auf der Klaviatur zwischen Lobbying, Massenprotest und Zivilem Ungehorsam.

Die "Generation attac" hat eine deutlich niedrigere Hemmschwelle, wenn es um Ak-tionen Zivilen Ungehorsams geht. Zum einen liegt dies an den in den letzten Jahr-zehnten erkämpften Freiräumen, beispielsweise in der Frage der Strafbarkeit von Sitzblockladen, andererseits nimmt mensch es heute moralisch einfach nicht mehr so genau. Kaum eine Gruppe beschäftigt sich beispielsweise vor ihrer Aktion noch mit der Frage, ob denn auch schon alle legalen Mittel zur Durchsetzung des Ziels ausgeschöpft sind - streng genommen eine notwendige Vorraussetzung, wenn mensch "nach Lehrbuch" vorgeht. Aber Ungehorsam ist medienwirksam und wird deshalb oft und gerne eingesetzt.

Wunderbare Zeiten also? Nur bedingt. Ich will hier nicht verschweigen, dass die Veränderungen der letzten Jahre auch Schwierigkeiten mit sich bringen.

Dass die Teilnahme an einer Demo inzwischen nicht mehr Ausdruck eines gegen-kulturellen Modells ist, sondern weitgehend ein Teil des gesellschaftlichen Main-streams geworden ist, nimmt dem Protest natürlich auch einen Teil seiner Wirkung. Wer nicht mehr provoziert und wer das System nicht mehr grundlegend in Frage stellt, wird auch in der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen.

Das Absterben des typischen alternativen Milieus, aus dem große Teile der Bewe-gungen in den 70er und 80er Jahren erwuchsen, nimmt dem Protest von heute auch eine gewisse Tiefenschärfe. Es ist eben nicht mehr so, dass diejenigen, die demonstrieren sich auch biologisch ernähren, in Wohngemeinschaften wohnen und mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Nicht nur ein Teil ihrer AkteurInnen, sondern auch ein Teil der Kultur der Bewegungen haben sich auf den Weg durch die Institutionen gemacht und sind dabei fast bis zur Unkenntlichkeit verändert worden.

Die vorhin schon genannte Besetzung von Schlüsselpositionen der Gesellschaft mit Ex-Bewegten kann natürlich auch Nachteile mit sich bringen, beispielsweise wenn sich diese besonders bemühen, sich von ihrer Vergangenheit abzugrenzen oder auch nur, wenn sie die politischen Taktiken von Protestbewegungen so gut kennen, dass sie es einfacher haben, diese auszuhebeln.

Die inhaltliche Flexibilität der "Generation attac", gestern gegen den Irakkrieg, heute gegen ungerechte Globalisierung und morgen gegen den Sozialabbau, hat auch zur Folge, dass es einerseits zwar so viele Demonstrationen und DemonstrantInnen wie selten gibt, aber ein Bewegungshype so schnell wieder verflachen kann, wie er entstanden ist. Während sich Medien und OrganisatorInnen noch über die Stärke des Protestes freuen, ist die Karawane längst zum nächsten Thema weitergezogen.

Die heutige Protestgeneration hat etwas von den Bildschrimkids, die sich durch die Fernsehprogramme zappen oder durchs Internet surfen. Die Strukturen sind deutlich unverbindlicher als noch vor zehn oder 20 Jahren. Den RekordteilnehmerInnenzahlen bei Demos und Aktionen stehen teilweise schwache organisatorische Kerne vor Ort gegenüber. Wie viele aktive lokale Friedensinitiativen gibt es eineinhalb Jahre nach der größten Demo in der Geschichte der Bundesrepublik? Erschreckend wenig. Und auch die Zahl der halbwegs vorbereiteten Bezugsgruppen, die sich an den Blockaden der Castor-Transporte beteiligen, nimmt stetig ab, obwohl sich seit einem Tiefpunkt im Herbst 2001 jedes Jahr mehr Menschen auf die Straße vor Gorleben setzen.

Die Sprunghaftigkeit und Unverbindlichkeit macht sich nicht nur an den Protestinhalten fest, sondern auch an den Formen. Wer sich einmal an einer Aktion Zivilen Ungehorsams beteiligt, wird deshalb nicht gleich zur gewaltfreien Aktivistin, die auch in den kommenden Jahren politische Gegenmacht auf diese Weise organisiert.

Verstärkt wird der Zapping-Effekt noch durch die massenmediale Wahrnehmung der Proteste. Hatten es die Bewegungen in den 60ern, 70ern und 80ern noch mit einem weitgehend feindlichen Medienumfeld zu tun, so wird heute oft auch wohlwollend berichtet. Allerdings führt dies zu zwei problematischen Effekten:

1. Die Darstellung in den Medien erinnert inzwischen oft an Sportberichterstattung. Höher, schneller, weiter ist die Devise. Werden neue Rekorde aufgestellt, berichten die JournalistInnen in epischer Breite. Doch gibt es keine neuen Bestleistungen, dann fehlt dem Protest der Neuigkeitswert und er geht im medialen Grundrauschen unter. Nach 17 Stunden Castor-Blockade durch die vier im Betonblock angeketteten AktivistInnen von Robin Wood im Frühjahr 2001 war jede Aktion danach nicht mehr interessant, weil sie den Atommüllzug weniger lange aufgehalten hat. Nach einer halben Million DemonstrantInnen am 15. Februar 2003 in Berlin hatten die weiteren Aktionen und Demonstrationen gegen den Irak-Krieg kaum noch eine Chance, adäquat wahrgenommen zu werden. Obwohl noch wochenlang jedes Wochenende hunderttausende auf die Straße gingen, war dies den Zeitungen nur noch zweispaltige Artikel auf Seite 5 wert. Wer heute mit einem riesigen Transparent ein Gebäude erklettert, kann sich schon glücklich schätzen, wenn ein Foto in der regionalen Presse erscheint.

2. Seit einigen Jahren gibt es auch Proteste, die praktisch von den Medien erst ge-macht werden. Da passt irgendein Thema gerade ins redaktionelle Konzept und wird hochgepuscht. Sogar teilweise aus Pressekreisen initiiert wurden Anfang der 90er die Lichterketten gegen rassistische Gewalt. Die Greenpeace-Aktion gegen die Versenkung der Ölplattform Brent Spar war vor allem deshalb so erfolgreich, weil die Medien im Sommer 1995 gerade kein anderes Thema hatten und dieses mächtig spannend fanden. Es gab dann sogar eine Nachfolgekampagne gegen die französischen Atomtests auf Mururoa, zu der manche Zeitungsredaktionen mit eigenen Protestbooten aufbrachen. Die nächsten Greenpeace-Aktionen waren dann wieder out, weil es den LeserInnen sonst langweilig geworden wäre.

Der Widerstand gegen den ersten rot-grünen Castor-Transport nach Gorleben im März 2001 wurde mehrere Tage praktisch live und rund um die Uhr auf diversen Sendern übertragen. Das lag aber nicht in erster Linie am genialen Konzept der Proteste, sondern daran, dass alle JournalistInnen die Geschichte von der dem Konflikt grüne Regierung ehemalige grüne Basis so spannend fanden und sich außerdem Bürgerkriegsbilder erhofften - die sie nicht bekamen.

Auch die Dynamik der aktuellen Montagsdemos gegen Hartz IV hat eine starke me-diale Komponente. Presse und Fernsehen haben sich wie eine ausgehungerte Meute auf die erste kleine Magdeburger Montagsdemo gestürzt. Und nur durch diese breite Berichterstattung bekam die Idee so schnell so großen Zulauf, wurde dann aber auch wieder von den Medien massiv runtergeschrieben, als die Sache begann, sich immer mehr auszuweiten.

Es geht hier meist nicht um politische Inhalte, sondern um die Gesetze des Medien-marktes und die spielen inzwischen leider die weitaus größere Rolle, bei der Frage, welchen Platz welche unserer Aktionen in der Berichterstattung einnimmt. Es erinnert mich manchmal an die in/out-Listen auf den Vermischtes-Seiten der Zeitungen. Da kann dann die beste Pressearbeit kaum noch etwas nutzen und es bleibt letztendlich fast dem Zufall überlassen, ob ein Thema einschlägt oder nicht und wie lange es auf der Agenda bleibt.

Soweit mein Blick auf die aktuellen und veränderten Rahmenbedingungen von Pro-testbewegungen. Meine Aufzählung ist natürlich nicht vollständig, nicht unstrittig und auf keinen Fall wissenschaftlich, sondern einfach meiner subjektiven Wahrnehmung entsprungen. Stellt sich nun die Frage, was das alles für die Werkstatt für Gewaltfreie Aktion bedeutet. Dazu muss ich, ich hoffe ihr verzeiht mir dies, ein wenig biographisch ausholen.

Eine meiner politischen Wurzeln liegt in Mutlangen. In den 80ern war ich einige Jahre Teil der Dauerpräsenz in der so genannten Pressehütte am Stationierungsort der Pershing-II-Atomraketen. Vor zwei Jahren habe ich auf einer Tagung in Schwäbisch Gmünd von heutiger Warte aus auf meine Mutlanger Zeit zurückgeblickt und ich will heute einen Abschnitt meiner damaligen Rede zitieren, weil er für das Verständnis dessen, was ich noch sagen werde, nicht unwichtig ist - auch wenn es vielleicht ein bisschen pathetisch daherkommt:

"Ich habe damals sehr viel aus Mutlangen mitgenommen, hatte unendlich viel gelernt über Zivilen Ungehorsam, über Macht und Gegenmacht von unten, über politische Abläufe, aktive Auseinandersetzung mit der Justiz, das Schaffen von Öffentlichkeit und das Planen effektiver Aktionen. Mutlangen war damals Symbol für vieles, unter anderem war es für eine ganze Generation eine phantastische politische Lehranstalt, immer unter dem Motto "learning by doing".

Ich kam direkt nach dem Abitur nach Mutlangen. Und als ich einige Jahre später von dort wegging, da hatte ich mich entschieden: Widerstand gegen menschenverachtende Politik sollte im Mittelpunkt meines Lebens stehen. "Unser Mut wird langen" war ein wichtiges Motto der damaligen Zeit. Heute kann ich sagen: Der Mut, den ich in Mutlangen gewonnen habe, der Mut sich immer wieder einzumischen und niemals aufzugeben, der Mut auch schwierige und scheinbar hoffnungslose Auseinandersetzungen aufzunehmen, dieser in Mutlangen gewonnene Mut, der langt bei mir bis heute und ich glaube, er wird mich mein ganzes Leben nicht mehr verlassen.

Wie viele andere auch habe ich vieles vom in Mutlangen Gelernten an anderen Or-ten, in anderen politischen Konflikten immer wieder neu eingesetzt. Ich gehöre zur Gruppe derjenigen, die sich nach ihrer Mutlanger Zeit vor allem in der Anti-Atom-Bewegung für die Stilllegung der AKWs und gegen Castor-Atommülltransporte engagiert haben. Ein Thema was ich mitgenommen habe und was mich seither immer wieder sehr beschäftigt, ist die Frage, wie es gelingen kann, einen politischen Konflikt durch massenhaften Zivilen Ungehorsam aktiv zu beeinflussen. Meine Mutlanger Erfahrung: Wenn sich die kleinen scheinbar ohnmächtigen Menschen zusammenschließen und sich wehren, dann haben es die scheinbar Mächtigen unendlich schwer, ihre Pläne umzusetzen."

Soweit das Zitat. Es geht mir also, aufgrund eigener Erfahrung, um Learning by doing.

Es ist eigentlich ein Widerspruch oder eine Fehlbesetzung, dass ich hier heute rede. Denn mensch kann mich sicherlich guten Gewissens als Theoriefeind oder zumindest theoriefremd bezeichnen. An der Uni habe ich es im Politikstudium nur zwei Semester ausgehalten und kluge politische Standardwerke habe ich nie gelesen. Ihr habt Euch da heute einen eingeladen, der in seiner ganzen politischen Biographie weitgehend auf die Angebote der Werkstatt und ähnlicher Einrichtungen verzichtet hat. Ich habe beispielsweise nie an einem Training für gewaltfreie Aktion teilgenommen, sondern all das, was ich darüber gelernt habe, wie Protestbewegungen funktionieren, und wie in ihrem Rahmen effektiv Politik zu machen ist, das habe ich nicht aus Seminaren, sondern von der Straße oder aus der praktischen Zusammenarbeit mit erfahrenen oder besonders begabten AktivistInnen.

Ich will damit beileibe nicht sagen, dass es die Bildungs- und Trainingsarbeit der Werkstatt gar nicht braucht. Ich glaube, dass es sehr viele Menschen gibt, die durch die Anregung oder Unterstützung der Werkstatt entscheidende Schritte in ihrer politischen Sozialisation gehen konnten. Und eigentlich kann ich an Euch einen Großteil meiner Kritik, die ich an anderen bewegungsnahen Bildungseinrichtungen habe, gar nicht richten. Denn ihr macht vieles besser als die anderen.

In ihrer Wirkung gar nicht zu überschätzen ist die Kampagnen-AG der Werkstatt. Hier wird meines Erachtens erstmals dafür gesorgt, dass bestimmtes Knowhow nicht mit dem biographischen Ende der aktiven Zeit mancher Leute verloren geht, sondern weiter und in konzentrierter und aufgearbeiteter Form der Bewegung zur Verfügung steht. Die AG füllt kompetent die Lücke zwischen Aktionstrainings, Gruppenberatung und "Werkzeug"-Seminaren, beispielsweise zu Pressearbeit oder Fundraising.

Auch die Idee des Bewegungsarbeiters, wie ja die Stelle von Bernd Sahler umschrieben wird, ist in ihrer Form neu und wegweisend. Dadurch, dass Bernd die Freiheit hat, sich immer wieder aktuellen Bewegungen und Aktionen anzuschließen und mit seinem Knowhow einzubringen, seid ihr schon viel näher am Tagesgeschäft, als alle eure KollegInnen in anderen Einrichtungen.

Aber ich denke, es ist in Zukunft nötig, diesen eingeschlagenen Weg konsequent weiterzugehen. Das für Erfolg oder Misserfolg von Protestbewegungen oft entschei-dende so genannte "window of opportunity", also der Zeitraum, in dem sich entscheidende politische Chancen auftun, kommt immer plötzlicher. Bewegungszyklen werden aus den genannten Gründen immer schneller und wir müssen versuchen, mit unseren Mitteln dazu beizutragen, vorhandenes Wissen in aktuelle Auseinandersetzung aktiv hineinzutragen und zwar punktgenau dann, wenn es darauf ankommt. Das geht nicht mehr mit langfristig geplanten Seminarprogrammen oder mit Werkstatt-MitarbeiterInnen, deren Terminkalender schon für mehrere Monate ausgebucht ist, jedenfalls nicht nur.

Ich wünsche mir in den aktuellen Auseinandersetzungen eine noch größere Beteili-gung von erfahrenen TrainerInnen, KampagnenplanerInnen, BewegungsarbeiterIn-nen. Es ist manchmal erschreckend, wenn mensch sich anschaut, auf wem die Last der Verantwortung für die Planung ganz entscheidender Aktionen liegt, wie zum Beispiel jetzt wieder gegen den anstehenden Castor-Transport nach Gorleben. In der Arbeitsgruppe von X-tausendmal quer, die sich um Trainings, Bezugsgruppenbildung, Moderation des SprecherInnenrats und Modelle der Entscheidungsfindung in einer Großgruppe von über 1.000 Menschen kümmern soll, von denen sich nur eine Minderheit in Bezugsgruppen organisieren will, sitzt eine erfahrene Trainerin und ansonsten nur junge Leute, die noch nie in diesem Bereich gearbeitet haben und jetzt noch kurz vor den Aktionen ein kurzes TrainerInnen-Training mitmachen. Da fehlt einfach aktuelle Unterstützung von erfahrenen Menschen.

Mir geht es hier heute gar nicht in erster Linie um die politische Wirksamkeit, die mit dem Einsatz erfahrener Leute erhöht werden kann, sondern um die Wirkung der Aktionen nach innen, auf die AktivistInnen selbst, auf die Frage, ob die Leute nach der Aktion sagen, sie haben etwas für ihre sonstige politische Praxis gelernt und sie werden das nächste mal wieder kommen.

Und es fehlt nicht nur am Input, sondern auch am Output. In den acht Jahren, seit es X-tausendmal quer gibt, wurde irre viel an Kampagnen- und Großaktions-Knowhow erarbeitet, aber nur wenig davon wurde aktiv ausgewertet, aufgearbeitet und zum Transfer vorbereitet.

Wer herausgefunden hat, wie groß dieser Anteil von politischer Bildung, von gewalt-frei leben lernen ist, der nicht in Seminaren, sondern auf der Straße stattfindet, der oder die muss über die Relation erschrecken, wie viele kompetente Kräfte an Bildungsveranstaltungen und wie wenig erfahrene Kräfte vor Ort an der Planung und Durchführung von Aktionen beteiligt sind.

Wie gesagt, diese ist keine Kritik an der Seminararbeit selbst, die ist sicher wichtig und wertvoll und ich sehe die Werkstatt auch schon weit vorne auf dem Weg hinein in die Aktions- und Kampagnenberatung. Aber der Bedarf ist noch weit größer.

Ob hier das gerade entstehende und noch reichlich diffuse Berufsbild der Bewe-gungsarbeiterInnen eine gute Antwort sein kann, muss sich in den nächsten Jahren zeigen. Die Werkstatt geht mit Bernd Sahler ja den Weg des in ein größeres Team eingebundenen aber trotzdem über gewisse Freiheiten verfügenden Arbeiters. Ich selbst, als einer von derzeit sechs nicht von aber über die Verdener Bewegungsstiftung finanzierte BewegungsarbeiterInnen bin eher freischwebend und nicht an eine Institution angebunden. Das gibt uns "Verdener BewegungsarbeiterInnen" eine noch größere Flexibilität, macht uns aber anfälliger für alle Nachteile des EinzelkämpferInnentums, wenn wir uns nicht selbst immer wieder um einen Teamzusammenhang kümmern.

Eine mögliche Weiterentwicklung der Bewegungsarbeit könnte die Mitarbeit erfahre-ner Leute nicht nur als Moderatorin oder Trainerin bei einem Wochenendseminar, sondern als mehrwöchiger Einsatz direkt bei einer Initiative, einem Aktionsbündnis oder einer Kampagne sein, bei denen sich die politische Auseinandersetzung gerade zuspitzt. Ein Beispiel dafür könnte der Widerstand gegen das Bombodrom bei Wittstock sein, falls die Bundeswehr den Übungsbetrieb aufnehmen will. Es geht dabei nicht darum, für die Leute vor Ort die Arbeit zu schaffen, sondern dafür zu sorgen, dass die Aktiven selbst ermächtigt werden, möglichst effektiv zu arbeiten.

Ich fände es reizvoll, wenn zur Reflektion und Weiterentwicklung des Berufsbildes BewegungsarbeiterIn eine Zusammenarbeit zwischen Verden und Baden entstehen kann.

Ähnliche Kooperation wünsche ich mir auch zwischen der Werkstatt und der Bewe-gungsstiftung selbst in den von mir heute angestoßenen Fragen. In der Stiftung wird darüber nachgedacht, wie bei plötzlich entstehenden "windows of opportunity" sowohl mit kurzfristig bereitgestelltem Geld als auch mit schneller fundierter Beratung ein entscheidender Beitrag für effektiven Protest geleistet werden kann. Das Geld versuchen die Stifterinnen und Stifter der Bewegungsstiftung selbst aufzutreiben, die Beratung muss sich die Stiftung "zukaufen", beispielsweise bei Einrichtungen wie der Werkstatt. Zu hoffen ist, dass die Werkstatt dann auch über genügend kurzfristig abrufbare Kapazitäten verfügt, um entsprechende Beratung leisten zu können.

Vielleicht ist dies eine mögliche Fortsetzung der Entwicklung, die meines Erachtens von der Werkstatt längst angefangen wurde: Neben die Bildungs-, Trainings- und Moderationsarbeit tritt noch stärker die Beratung und mit den BewegungsarbeiterInnen auch die eigene konkrete Mitwirkung an der Planung und Umsetzung von Protest und Widerstand.

Damit die derzeitige Renaissance der Protestbewegungen kein Strohfeuer wird, sondern dazu beiträgt, aktiv und gewaltfrei das Land zu verändern.

Mehr zur Werkstatt unter: http://www.wfga.de