Negative Dialektik

Negative Dialektik

von Rüdiger Heescher

 

 
Ein kleiner Abriss über einige Denkstrukturen, der direkt mit der
Antisemitismusdebatte, der Entwicklung von attac und der derzeitigen
politischen Entwicklung in Deutschland zu tun hat:

ACHTUNG: Dieses wird ein langer Text, aber nicht langweilig geschrieben und ich
habe versucht, ihn in kleinen Absätzen so kurz wie möglich zu halten und auch
Erläuterungen für Schüler zu geben, falls das eine oder andere nicht bekannt
ist. Wenn der Eindruck entsteht es gäbe da sehr viele Ausschweifungen, dann
bitte ich hier vielleicht einmal zu überdenken, was das eine mit dem anderen
zu tun hat. Vielleicht ist auch bei dem ganzen Verständnis darüber Adorno
und Hegel notwendig, kann ich aber als "verbildeter" Mensch nicht mehr
nachvollziehen. Ich hoffe es gibt vielleicht daraufhin den Anlass, sich
mehr mit systemischen Strukturen zu beschäftigen und nicht immer gleich
blind von der einen wie auch von der anderen Seite drauf los zu schlagen.

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Die junge Welt schreibt in einem Artikel, dass wohl wieder vermehrt Karl
Marx von jungen Leuten gelesen wird, was die Verfassungsschützer aus dem CSU
Lager wohl sehr beunruhigt. "Linksextreme" sollen angeblich wieder im
Vormarsch sein und die würden auch wohl noch bei attac "unterschlüpfen". Na
so was.

Aus der Sichtweise der CSU mag es ja wohl so sein, dass die Menschen, die
Karl Marx lesen, linksextrem sind, aber dann wäre wahrscheinlich auch jeder
Soziologe ein Linksextremer, denn der sollte zumindest in seinem Studium
schon mal mit Karl Marx in Berührung gekommen sein. Es wird wohl kaum noch
jemand alle drei Bände des Kapitals gelesen haben. Aber es würde ja schon
reichen, die "Frühschriften" oder andere Werke, wie z.B. "Das Elend der
Philosophie" vor allem als Philosoph. Aber dass selbst die größten
Kapitalisten wert darauf legen Marx zu lesen, wird nie gesagt, aber ist eine
Binsenweisheit, denn gerade die wollen ja wissen, wie der Kapitalismus
funktioniert, denn das steht alles bei Marx geschrieben. Also ist Karl Marx
auch so was wie eine Anleitung für den Kapitalisten. Alles hat seine zwei
Seiten.

Eine andere Wahrheit, die in sich zwei Seiten trägt, ist auch, dass Horkheimer
und Adorno, entsprechend die Frankfurter Schule, maßgeblich die 68er in
ihrem Denken geprägt haben. Über die Arbeiten über den Faschismus sowie die
sozioökonomische Zusammenhänge, psychosoziale Zusammenhänge hat gerade die
Frankfurter Schule unsere Republik verändert. Die 68er sind somit also auch
die Wegbereiter für ein Denken, welches wir nun gerade hier bei attac haben.
Es sind aber gerade Adorno und Horkheimer gewesen, die für die CIA
gearbeitet haben und nach dem 2. Weltkrieg dafür gesorgt haben, dass die
autoritäre und immer noch faschistisch denkende Gesellschaft unter Adenauer
bis in die 60er Jahre ein liberaleres Bewusstsein seit den 70er Jahren
eingeimpft bekommen hat. Es war sozusagen eine Umerziehung. Deutschland ist
nicht gerade dafür bekannt, dass es hier Revolutionen gibt. Aber die 68er
Zeit war eine Revolution. Es war eine Revolution in den Köpfen, die viel
nachhaltiger wirkt als jede gewalttätige Revolution.

Aber es mündete "nur" in eine harmlose materialistische Veränderung, die
keinem wirklich aus dem Establishment  weh tat, nämlich dem Umweltbewusstsein
durch die Grünen. Wirkliche grundsätzliche Veränderungen, die am System
rütteln, gab es nicht. Dieses war nicht zuletzt auch dem Untergang des
Warschauer Paktes zu "verdanken", der einen Dualismus der Weltanschauungen
garantierte. Die Deutsche Einheit hat sein Weiteres dazu beigetragen, dass
wir in Deutschland nicht mehr weiterkamen. Antiatombewegung war sicherlich
immer noch sehr gefährlich für das System, aber hat ja jetzt seinen Abgesang
durch den vorgetäuschten Atomkraftwerke Abbau mit der rot-grünen Regierung.
Dieses war eine Täuschung sondergleichen, wie sie bisher eigentlich nur zu
vergleichen ist mit der Dolchstosslegende*.

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  Für die, die bisher noch nichts von der Dolchstosslegende gehört haben,
hier eine kleine Erläuterung. Der erste Weltkrieg wurde 1918 militärisch
verloren und das konnten die konservativen Zentrums-Politiker sowie das
Militär damals nicht verknusen. Deshalb wurde damals die Lüge in die
Bevölkerung gestreut, dass Deutschland nur den 1. Weltkrieg verloren hat,
weil die Kommunisten die Heimatfront geschwächt hätten und sogar Deutschland
verraten hätten. Man erinnere sich, dass damals auch gerade die
Oktoberrevolution war. Sie haben einfach behauptet, dass der Krieg gewonnen
hätte werden können, wenn die "Heimatfront" nicht gebröckelt wäre. Deshalb
auch die Bezeichnung Dolchstoss (von hinten in die Brust, so wurde es auch
karikiert in den Zeitungen) Jetzt haben wir mit dem sogenannten
Atomausstiegsgesetz genauso eine Lüge, die vortäuscht, als wenn wir in 20
Jahren keine Atomkraftwerke mehr haben werden, was aber faktisch falsch ist.
Im Gegenteil, dieses Gesetz ist ein Atomkraftwerkebestandhaltungsgesetz,
genauso wie orwellsche Semantik* halt funktioniert. Aber das ist ein anderes
Thema. (*Hier für alle, die nichts mit "orwellscher Semantik" anfangen
können seien verwiesen auf "1984" von George Orwell. Hier gab es
Geschichtsumschreibung der professionellen Art, wo alle Begriffe genau das
Gegenteil von dem bedeuteten, was sie eigentlich ursprünglich bedeuteten.
Während des Kosovo Krieges wurde das sehr gut nachvollziehbar in sehr vielen
Bereichen genauso gemacht. "Humanitäre Intervention" steht für den
Angriffskrieg, sei hier nur mal genannt. Es gibt aber noch viele andere
Beispiele.
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Wir sehen bei den kleinen Aufwärmbeispielen, dass es sich bei vielen
Begebenheiten um einen Dualismus, Antipoden, These und Antithese handelt,
die aber nur zwei Seiten ein und derselben Medaille sind. Es gibt meistens
immer zwei Seiten, die im Gegensatz zueinander stehen. Wer aber Hegels Logik
kennt, der weiß, dass wir es mit einer rafftückischen Logik zu tun haben
in der Welt, die nicht immer einfach nur mit zwei einfachen Gegen-Polen zu
erklären sind, sondern, dass sogar das "absolute Nichts" in dem Sein
aufgehen kann/muss.
Adorno beschrieb in seiner "negativen Dialektik", dass auch hier die
"Anti-Auffassung" in das große System assimiliert wird. Ohne dieses Anti
gäbe es kein stabiles System, welches sich immer mehr nur durch diesen
Umstand stabilisieren kann. Die Versöhnung des "Allgemeinen" und des
"Besonderen" ist also zwingend notwendig und erfolgt grundsätzlich. Zu jedem
Mainstream gehört auch immer eine Gegenbewegung und man kann diese schon im
Voraus erahnen und kalkulieren, ja sogar steuern, wenn man geschickt ist.
Dieses wird aber dann zum Erhalt - in den meisten Fällen - des Mainstreams
genutzt.

Hier ein Zitat von Adorno, wo ich während meines Studiums "Quatsch"
nebengeschrieben habe, aber nun im nachhinein 10 Jahre später verstehe,
worum es wirklich geht:

"Die Versöhnung von Allgemeinen und Besonderem, von Regel und spezifischem
Anspruch des Gegenstands, in deren Vollzug Stil allein Gehalt gewinnt, ist
nichtig, weil es zur Spannung zwischen den Polen gar nicht mehr kommt: Die
Extreme, die sich berühren, sind in trübe Identität übergegangen, das
Allgemeine kann das Besondere ersetzen und umgekehrt."

Bisher war es immer so, dass grundsätzlich sich die
kapitalistische/neoliberale Seite immer dieses zu nutze gemacht hat und
entsprechend sogar viel intelligenter mit solchen Mechanismen gearbeitet
hat, als es jemals die Linke getan hat, obwohl die Linke sogar den Anspruch
hat, dass sie diejenigen sind, die dieses zur Aufklärung von Prozessen
beigetragen hat. In der Analyse wird von Linken immer hervorragend alles
erklärt, aber in der Ausführung und Durchsetzung von Schlussfolgerungen
kommt die Linke immer ins straucheln, weil sie nicht gerade die Methoden
einsetzen wollen, die von ihnen angeprangert werden. Stil und Gehalt welche
aus der Analyse erfolgt wären, sind nun zwei unterschiedliche im Extremfall
sogar Antipoden. Daher ist die Linke zumeist auch immer gelähmt.

Umsonst verehrt nicht die konservative Seite genauso Hegel wie auch die
Linke. Die linke verweist auf den jungen Hegel und die konservativen
verweisen für sich auf den alten Hegel. Vom Weltgeist Hegels wurde auch
Helmut Kohl damals geküsst. Mittlerweile wird auch Josef Fischer vom
Weltgeist* geküsst, jedenfalls haben beide das geglaubt oder glauben es
immer noch. ;-) (*Das vielleicht nur für Kenner am Rande)

Jetzt wieder zur konkreten Situation um weiter voranzuschreiten.

Die Auseinandersetzung innerhalb der Linken zwischen Anti-Deutschen und Anti-
Imperialisten ist auch ein Beispiel, welches ich nachher noch unter dem
Aspekt von Hegels Logik genauer beleuchten will. Hier erst mal zur
Beschreibung des Problems an sich. Die Antideutschen sind nach dem Mauerfall
1990/1991 entstanden. Nicht ohne Grund, wie man vermuten kann, denn es
bestand die Gefahr, dass Deutschland jetzt nun zu neuem Größenwahn
aufsteigen könnte und mit Weltmachtfantasien, gerade damals unter Kohl, zu
einem neuen Imperialismus und Großmachtvorstellungen innerhalb Europas und
der ganzen Welt wieder den Anspruch für ein altes Motto haben könnte: An
Deutschlands Wesen soll die Welt genesen. Vielfach könnte man heute auch
wirklich dieses glauben, dass dieses eintritt oder eingetreten ist - gerade
unter Schröder/Fischer ist dieser Verdacht nicht unbegründet, denn man denke
dabei an den Kosovo Krieg usw.

Anti-Deutsche haben sich aus einer Orientierung also erstmals gebildet
aufgrund von der deutschen Einheit. Es war ein linker Haufen, der in manchen
konservativen Kreisen erst mal auf Unverständnis stieß - wen verwunderts.
Aber wie es nun mal so läuft in Hegels Logik macht man sich genau den
Antipoden zum Mittel für seine eigene Politik. Antideutsche verstehen sich
als Links-Radikale und wetterten damals gerade auch mit Antifaschisten gegen
die NPD und alles was Rechtsextrem ist. Die CDU hatte damals zu kämpfen,
dass ihnen die Wähler nicht zu den Republikanern, DVU oder NPD abwanderten.
Asylantenhäuser wurden abgefackelt. Es war also gerade eine passende Zeit,
wo Antideutsche dazu verholfen haben, dass die Rechte Seite ihre Reihen
wieder schließen konnte. Es kamen zumeist diese Leute von Antideutschen
sowieso aus dem antifaschistischen Lager, welche viele auch zu den
Naziverfolgten gehörten. Sie sind ursprünglichst dafür angetreten, dass
Nationen und Nationalstaaten ein Übel für die Welt sind und wussten auch
genau wie die Systemstrukturen funktionieren. Sie haben sich vor allem
systemisch mit kapitalistischen Strukturen beschäftigt. Diesen Vorteil haben
die Antideutschen auch lange gegenüber den Antiimps aufrecht halten können
um auch hier in dem "Pop-linken" Lager von neuen Interessierten, die nicht
festgelegt waren auf eine Richtung einzuschwören. Doch zunehmend haben gerade
Antideutsche immer mehr mit nationalen Symbolen, um sich geschmissen und das
Niveau wurde immer platter. Wenn man die Demos der Antideutschen gesehen
hat, dann hat man ständig amerikanische und Israelische Fahnen gesehen, die
den Antideutschen (aber auch schon vorher) sogar den Vorwurf einhandelten,
dass sie vom Mossad und CIA als Maulwürfe in der linken Szene eingeschleust
sind. Dieser Vorwurf wird bisher auch weiterhin aufrechterhalten und gerade
im antiimperialistischen Lager ist dieses für sie Fakt. Dazu kenne ich die
Indizien und möglichen Beweise zu wenig, um hier meine Meinung zu äußern.

Auf Antiimp-Seite hat man sowieso einen anderen Einfluss der aus der
sozialistischen Ecke kommt. Hier spielen sich also immer noch die Einflüsse
und das Denken einer alten leninistischen Geschichtsauffassung ab, welches
in der alten Friedensbewegung der Anfang 80er Jahre enormen Einfluss hatte.
Viele trauern dem real existierenden Sozialismus noch hinterher und
versuchen die Linke wieder auf Widerstandsformen einzuschwören, wie sie
damals weltweit üblich waren. Man unterstützt auf Antiimp Seite
grundsätzlich immer die Gegenseite, also das alte Spiel von Gegenbewegung
zum Mainstream. Aber die Zeiten haben sich geändert und daher ist genauso
die Antiimp wie die antideutsche Gruppierung nur eine sektiererische
Randerscheinung, die aber anscheinend durch ihre guten
Organisationszusammenhänge einige Möglichkeiten haben genug Unruhe innerhalb
der gesamten Linke zu verursachen.

Fakt ist zur Zeit in der Tat seit dem Irak Krieg, dass diese beiden Lager
die Linke aufgespalten haben und nun den gesamten Linken Sammlungsprozess
gerade bei attac zur Zeit aufhalten und behindern.

Wir kriegen aber nun schon den kleinen Bogen, auf das, was ich eigentlich
hinaus möchte.

Die Situation in der wir nun stecken ist vergleichbar derer, wie sie auch
schon 1929/30 war.

Wir stehen vor einer großen Veränderung, was jeder spürt, aber noch nicht
so richtig fassen kann. Genauso wie damals haben wir es mit einer
Wirtschaftskrise zu tun. Deflationspolitik wird betrieben und
Sozialdarwinismus wird in unser Bewusstsein durch ganz hinterlistige Weise
gespült. Jeder kennt die Sozialneid Talksendungen, wo der kleine
Facharbeiter mit noch sicherem Tarifjob auf den Arbeitslosen prügelt, weil
er angeblich zu faul ist zu arbeiten, der Arbeitslose prügelt auf den
Sozialhilfeempfänger, weil der ja sowieso noch nie etwas für die
Gesellschaft getan hat ("nie eingezahlt hat und mit seiner Bier Flasche
sowieso nur immer auf der Parkbank hängt"), der Sozialhilfeempfänger lässt
es dann bei den Ausländern aus, die ihm angeblich jede Chance im Leben
genommen hat usw. und so fort. Generationskonflikte werden nun geschürt. Also,
die ganze Sache wird mittlerweile eine sehr gefährlich Mischung. Jeder gegen
jeden. Ängste und Hass wird die Triebkraft und der Impetus für eine
individuelle Entscheidung.

Es wird gezielt von unserer Regierung gerade auch durch die Diskussionen und
jetzt auch noch durch die Demontage des Sozialstaates (Agenda 2010) der
Druck erhöht und es führt zu Resignation und/oder Aggressionen. Wer jetzt
noch mehr schlecht als Recht durchkommen will muss Ellenbogen benutzen und
das Motto gilt ab jetzt:

Der Stärkere wird sich durchsetzen. Solidarität ist jetzt nicht angesagt,
denn man könnte ja reingelegt werden und der Dumme bleiben. Denn es wird ja
andauernd gezeigt, dass Solidarität sich nicht auszahlt. Da ist z.b. der
Sozialhilfeempfänger in Florida und lässt sich den Bauch braun brennen und
das auf "unsere" Kosten, wo doch "WIR", der Staat, sowieso nichts mehr in der
Kasse haben.

Das nur als tagtägliche Beschreibung dessen, wie Sozialdarwinismus geschürt
wird. Das Fazit bleibt für jeden im Bewusstsein: Der Stärkere setzt sich
durch. Ich! will der Stärkere sein! Ich muss meinen Machtbereicht stärken
gegenüber denen die noch ein kleines Stück unter mir sind.

Auch innerhalb der Linken ist dieses schon durchgedrungen, weswegen auch
Machtkämpfe nicht ausbleiben, die überhaupt keine Machtkämpfe sind. Es gibt
gar keine Macht zu verteilen, wenn es überhaupt keinen Sammlungsprozess der
Linken mehr geben kann und sich alles wieder aufspaltet in kleine Sekten.
Bei der PDS hat es angefangen und wird nun bei den Gewerkschaften munter
weiter praktiziert. Bei uns in attac versuchen nun die Übriggebliebenen, 
diesen Kampf weiter zu führen, obwohl attac damit nichts direkt zu tun hatte
und bei attac auch keine Macht zu verteilen ist. Aber stellvertretend wird
nun hier bei uns auch einiges von dem ausgefochten, was in anderen Parteien
und Gewerkschaften nicht gewonnen werden konnte, denn auch hier hat sich der
Stärkere durchgesetzt anstatt sich zu einigen. Von antikapitalistischer
Seite her wird über LinksRuck instrumentalisiert eine Forcierung betrieben,
die auf der Gewerkschaftsseite eine Antihaltung verursacht. Die Vorgänge zur
Zeit sind beschrieben worden und ich will da jetzt nicht darauf eingehen.
Aber letztlich werden beide Seiten sich einigen müssen, weil wir das
Konsensprinzip haben, was keiner Seite die Möglichkeit gibt hier irgendwo
Fuß zu fassen und ihre Machtbestrebungen erfolgreich ausüben zu können. Das
Konsensprinzip erscheint erst mal bei vielen eine Regelung zu sein, die
behindern kann. Aber genau das ist in diesem Sammlungsprozess wie mit
solchen kleinen Störungen, weil wir es jetzt vorfinden, genau richtig. Das
Konsensprinzip ist bei attac das Lebenselixier. Wenn man das irgendwann
aufgeben sollte, dann würde attac in Sekundenschnelle sich in Wohlgefallen
auflösen und kein Sammlungsprozess von Linken wäre mehr möglich und
Sektiererei würde sich ausbreiten. Daher stellt attac etwas ganz Besonderes
dar, was man hegen und pflegen muss.

Spaltungsbestrebungen in der Gesellschaft sowie auch innerhalb von attac
sind also auch eine systemische Fragen, die es heißt zu durchschauen und
mit ihnen intelligent umzugehen.

Die einzigen, die davon profitieren würden, sind die Gegner der Linken, die
genau dieses, was uns jetzt vorgeführt wird, schon immer vorausgesagt haben.
Also eine selbsterfüllte Prophezeiung. Die Gesellschaft will eine
entsolidarisierte, individualisierte, auf Selbstbestimmung gerichtete
Orientierung, da das solidarische Bewusstsein nicht mehr funktioniert und
die Zeiten dieses auch angeblich nicht mehr hergeben. Wir verharren in
unserer Selbstlähmung und können dabei nur zuschauen. Wir fragen uns dabei,
wieso das so passieren konnte und geben den anderen Störenfrieden innerhalb
der Linken die Schuld.

In England können wir schon jetzt sehen, zu was es geführt hat. Die
Gewerkschaften sind nun kaputt gemacht worden. New Labour hat dafür gesorgt.
Die Wahlbeteiligung geht zurück bis auf 50 %. Trotzdem schafft es die
konservative Seite nicht so richtig etwas gegenzuhalten, da New Labour ihr
Programm übernommen hat und sogar noch weiter Rechts gewandert ist. Viele
Labour Wähler haben es bis jetzt nicht mitbekommen, dass es nicht mehr eine
Sozialdemokratische Partei ist und wählen sie immer noch. Eine gewaltige
Gehirnwäsche erfolgt. Damals bei den Nationalsozialisten waren es ähnliche
Effekte. Wie im Namen schon drin steht, gibt sich die NSDAP als
sozialistische Partei, was sogar viele Sozialdemokraten und Kommunisten
veranlasste der NSDAP beizutreten. Der nationale Aspekt einte viele in der
Not gerade aus dem Arbeiterlager wie auch den Kleinbürger/Beamte aus der
konservativen Ecke (heute vielleicht eher als "neue Mitte" zuzuordnen). Ein
Nationalbewusstsein hilft über viele Durststrecken hinweg und gibt einem ein
heimeliges Wir Gefühl. So konnte eine "wirkliche" Volkspartei alle
widersprüchlichen Auffassungen einen. Die Auflösung (der Wunsch der
Marxisten) ist hier den Nazis damals sozusagen in ironischer Weise gelungen.

Kommunisten und Sozialdemokraten konnten sich in der Weimarer Zeit nicht
einigen. Sie haben es einfach nicht hingekriegt. Aus welchen Gründen auch
immer, sei es die Bolschewismushatz oder die Ausprägung der Leninistischen
Kader. Natürlich spielte die Dolchstosslegende auch eine sehr große Rolle.
Aber vielleicht war auch noch der Verrat der Sozialdemokraten daran schuld
als sie dem 1. Weltkrieg zugestimmt haben. Der alte Spruch gilt immer noch
im Zweifelsfall: "Wer hat uns verraten - die Sozialdemokraten" heute mehr
denn je.

Bisher waren in der politischen Geschichte Sozialdemokraten immer die
wackeligsten und unzuverlässigsten Bündnispartner. Selbst bei Rot-grünen
Regierungen in jüngerer Geschichte, sei es auf kommunaler Ebene oder
Länderebene war es immer der Fall. Wer sich nie an Koalitionsbeschlüsse
gehalten hat, waren die Sozialdemokraten. Man hat die "tollsten" - für Grüne
- Koalitionsverträge ausgehandelt, was aber für Sozialdemokraten nie
gegolten hat. Das Blatt Papier war es nicht wert, auf dem der
Koalitionsvertrag geschrieben wurde. Komischerweise haben die ersten
schwarz-grünen Koalitionen in den 80er Jahren auf kommunaler Ebene wie in
Bielefeld besser funktioniert. Der Koalitionsvertrag war zwar nicht so gut,
wie mit Sozialdemokraten, aber irgendwie haben sich die konservativen viel
mehr an das gehalten, was man vereinbart hat. Wenigsten das bisschen, was
dort verhandelt wurde, wurde wenigstens eingehalten. Bei
sozialdemokratischen Koalitionsverträgen war man ganz verloren. Bei den
konservativen gab es noch einen Ehrenkodex, auf den sich Kohl ja immer noch
beruft und nicht die Spender nennt. Es hat auch hier seine guten und
schlechten Seiten. In der Friedensbewegung waren es die Gewerkschaften, die
grundsätzlich immer am unzuverlässigsten waren. Sobald Arbeitsplätze
winkten, waren die Gewerkschaften wieder im Boot der Bellizisten.  Jüngstes
Beispiel sind die 2000 Leopardpanzer Lieferungen in die Türkei, wo der IG
Metall 3500 neue Arbeitsplätze versprochen wurden. Sozialdemokratische
Gesinnung ist immer eine Spaltung in sich, weswegen auch Sozialdemokraten
mit sich immer am meisten Schwierigkeiten haben. Dadurch dass sie auf der
einen Seite aus der sozialistischen Bewegung kommend, sich dem Sozialismus
verpflichtet fühlen, aber auf der anderen Seite im realpolitischen Geschehen
gerade für die Erhaltung des Kapitalismus gesorgt haben, sind sie der Janus*
der Politik sozusagen. Eine Konstruktion, die seinesgleichen sucht. Ein
Wunder, dass sie 140 Jahre durchgehalten haben, wenn man es sich aus der
alltäglichen Logik anschaut. Aber wie man auch feststellen kann, sind sie
ständig Wandlungen unterworfen und eigentlich bleibt immer nur der Name
bestehen. Genauso wie jetzt auch nach Godesberg nun die SPD ihre 4. oder 5.
Transformation durchmachen wird. In Bochum wird sich im November die SPD zu
"New Labour" nach dem Vorbild von Blairs "New Labour" offiziell nach
Grundsatzprogramm verwandeln. Wenn dieses geschieht, dann wird die
Zerschlagung der Gewerkschaften gewiss sein, wenn die Gewerkschaften sich
nicht wieder zurückbesinnen und sich als soziale Bewegung verstehen. Ein
Sozialpartner für die SPD kann die Gewerkschaft nicht mehr sein, wenn sie
überleben will. Deshalb auch der Richtungsstreit innerhalb der
Gewerkschaften. Es geht um das nackte Überleben. Auch hier ein Kampf, der
noch nicht entschieden ist. (Vielleicht sollte man sich auch noch mal mit
dem verpönten Nietzsche auseinandersetzen um andere Zusammenhänge zu
erklären, aber den lasse ich jetzt mal hier raus.)

*Janus ist der doppelgesichtige römische Gott der Tore (Ein- und Ausgang
gleichzeitig)

Die Situation ist also zur Zeit äußerst schwierig und die Fallen stehen an
jeder Ecke bereit um einen wirksamen Widerstand gegen diese Entwicklung zu
verhindern.

attac war bisher ein gutes Gegenbeispiel, wie man diesen Fallen ausweichen
kann und entsprechend eine wirkliche Gegenbewegung (Besondere) aufbauen kann, 
um dem Mainstream denken (Allgemeine) ein Schnäppchen schlagen zu können.
Hier wäre es zudem zum ersten mal möglich auch substantiell in seinem
Potential dem Establishment, dem System, eine wirklich nachhaltige
Veränderung zu verordnen, denn zum ersten mal ist eine Bewegung entstanden,
die sich mit dem wesentlichen, dem ursächlichen Problem auseinandersetzt.
Nämlich der politischen Ökonomie. Hier wäre also zum ersten mal es möglich
genau das was Adorno beschreibt, dass das Besondere das Allgemeine ersetzt.
Das gab es schon lange nicht mehr. Bedingung für einen Erfolg ist aber eine
andere Regierung, die deutlich als neoliberal zu kennzeichnen ist. Bei der
SPD gelingt es nicht, da die Masse der Menschen auch in 10 Jahren wohl immer
noch glauben wird, dass die SPD eine soziale Partei sein wird. Es würde nur
funktionieren, wenn der Antipode in Erscheinung tritt. Eine CDU/FDP
Regierung wäre also für eine attac- Bewegung zu wünschen. Sie wäre auf der
einen Seite ein gut zu benennender  Gegner, auf der anderen Seite gäbe es
ständig Aufwertungen für attac von der CDU Seite, die sich mit uns
auseinander setzen müsste und auch will, was eine Abwertung der SPD zur Folge
hätte, was dann die CDU sich vorher genau überlegt hätte. Dieses gelingt bei
der Janus Fraktion unter Sozialdemokraten als Regierung nicht, da eine
Aufwertung nicht möglich ist. Janus verspricht und bricht. Das ist immer
erst im nachhinein festzustellen und man kann immer nur reagieren. Man kann
einfach nicht agieren, wie es eigentlich notwendig wäre. Deshalb gelingen
auch unsere Kampagnen nicht so, wie wir es uns gerne vorstellen.

Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass wir gerade von rechter Seite
immer wieder Aufwertungen bekommen, die uns selbst nicht gefallen, aber für
das rechte Lager nur hilfreich ist, um die Linke insgesamt zu schwächen für
ihren Erfolg. Wir von attac nutzen trotz allem zur Zeit geschickt diese
Position, wo wir aber aufpassen müssen, dass wir uns nicht dabei selbst ein
Bein stellen. Wir müssen bis zum Regierungswechsel zu CDU/FDP durchhalten
und dabei uns stark im gesellschaftlichen Einfluss auf allen Ebenen
formieren. Jetzt sieht es aber so aus, als wenn wir kurz davor stehen, dass
wir uns selbst ein Bein stellen könnten. Uns darf nicht genau der gleiche
Fehler passieren wie zur letzten Bundestagswahl der PDS, die mit der Anti-
Stoiber Kampagne genau das Gegenteil von dem verursacht hat, was sie wollte.
Bartsch hat einfach keine Ahnung von Hegel gehabt um zu wissen, dass die
Anti- Stoiber Kampagne nur der SPD nützt aber bestimmt nicht der PDS, im
Gegenteil!

Hier fängt die Logik Hegels an, mit der wir uns beschäftigen müssen, um zu
verstehen, was wir nun machen müssen.

1. Ausgangssituation ist nun, dass wir ähnliche Verhältnisse haben wie
damals zur Weimarer Republik.
2. Das sozialdarwinistische Denken ist wieder im Kommen und wird noch weiter
befördert
3. Der Ruf nach dem starken Mann ist schon ausgeprägt, weswegen sich viele
wohl auch an Gerhard Schröder halten werden, wenn er sein Image weiterhin
aufrecht erhalten kann. Nachdem man jetzt soweit sagen kann, wie die Uhren
bei der SPD ticken, wird Schröder es noch lange schaffen. Er ist der Macher.
Er kämpft an 10 Fronten gleichzeitig. Er schafft es in allen Lagern
aufzumischen und geht dabei ohne blutige Nase hervor. Die Strategie, die
Schröder fährt,  ist vielleicht nicht ewig durchzuhalten, aber für ein paar
Jahre wird es reichen.
4. Wenn ein neuer starker Mann kommt von der Gegenseite, dann muss er ein
ausgeprägterer noch stärkerer Mann sein. Ein Franz Josef Strauss hätte
wahrscheinlich dann die besten Chancen Bundeskanzler zu werden. Wer es dann
wird, bleibt abzuwarten. Ich tippe mal auf Roland Koch. Stoiber kommt nicht
an und kann keine zwei Sätze hintereinander reden. In Bayern in Bierzelten ist
er zwar der König, aber nicht auf dem bundesweiten Medien-Parkett.
5. Rassismus und Antisemitismus wird mit Sicherheit immer ausgeprägter
werden. Diesmal aber weniger von Rechtsradikalen als mehr von den
Etablierten, was den Rechtsextremen schwer zu schaffen macht und noch machen
wird, denn man sieht die Versuche, selbst die Linke zu radikalisieren und in
eine antisemitische Position zu bekommen. Wenn die NPD es nicht selbst
schafft, dann versucht sie es, mit Querfronten eigene Akzeptanz auf der einen
Seite, aber viel wichtiger auch negative Aufwertung von der Gegenseite zu
bekommen.
6. Nationalbezogenes Denken wird immer wichtiger. Fußball muss hier schon
nach Rudi Völlers Interviews Einhalt gebieten. Die Erwartungen können nicht
mehr eingehalten werden, weswegen solche Leute wie Günter Netzer vielleicht
erst mal wieder in den Hintergrund treten werden. Aber spätestens wenn Roland
Koch wieder im Wahlkampf zur Attacke bläst, dann wird ein Günter Netzer
wieder wichtiger als ein Rudi Völler und wird die Nation wieder auf Erfolg
und die glorreichen Zeiten einheizen. In anderer Form wird das nun auch schon
in ARD und ZDF gemacht. Retro ist angesagt um in Nostalgie erst mal die
schwache deutsche Fußballmannschaft aus dem Rampenlicht zu holen. Das
verhilft zur Zeit der SPD um eine Verschnaufpause einzulegen. Es passiert
zur Zeit mental eine gewisse Sammlung und man besinnt sich auf Vergangenes
um daraus wieder neue Kraft zu schöpfen. Übrigens passiert das gleiche zur
Zeit auch im antikapitalistischen Lager. Retro scheint nun überall angesagt
zu sein. Natürlich wird dieses auch wieder genutzt von denen, dieet was davon
verstehen es zu nutzen. eine Antihaltung wird sich da auch wieder entfalten,
die dann aber gezielt und gesteuert durchsetzen wird. Das ist der Plan.

Zur Info:

Ich sehe mich nicht in der Tradition von Hegel ob jung oder alt, vielleicht
aber eher Adorno aus kantianischer Sichtweise. Hegel ist ein weites Feld und
äußerst schwierig zu interpretieren, was auch die jeweiligen Spielräume auf
politischer Ebene erklärt. Hegel verstehen ist eine Lebensaufgabe, die
Marxisten verkürzt haben, weswegen bei Marxisten auch nur der materielle
Aspekt eine Rolle spielt und ihre Interpretation doch sehr einseitig bleibt.

Gruß

Rüdiger  Heescher

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Rüdiger Heescher
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priv Tel: 02302/401427
Fax/Voice: 01212/510542029

Bush und Blair nach Den Haag!

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