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Cost of the War in Iraq
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20. April 2004:

Die wichtigste Neujahrsbotschaft für die Welt stammt aus dem Jahr 1986: "Krieg und Gewalt sind Kulturprodukt"
Auch für das Jahr 2004 sehr aktuell!

In der Überzeugung, dass es unsere Pflicht ist, uns aus der Sicht unserer unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen mit der gefährlichsten und zerstörerischsten Aktivität des Menschen zu befassen, mit Krieg und Gewalt; im Bewusstsein, dass die Wissenschaft ein Produkt der menschlichen Kultur darstellt und deswegen weder letzt gültige noch umfassende Wahrheiten zu bieten hat; und in dankbarer Anerkennung der Unterstützung seitens der Stadt Sevilla und der spanischen UNESCO-Kommission, haben wir, die unterzeichneten Wissenschaftler aus aller Welt, die sich aus der Perspektive ihre jeweiligen Disziplin mit dem Thema Krieg und Gewalt befassen, die nachstehende "Erklärung zur Gewaltfrage" formuliert. Darin stellen wir einige vermeintliche Ergebnisse biologischer Forschung in Frage, die dazu verwendet werden - zum Teil aus unseren eigenen Reihen -, Krieg und Gewalt zu rechtfertigen. Diese vermeintlichen Forschungsergebnisse haben zu einer pessimistischen Grundstimmung in der öffentlichen Meinung beigesteuert. Daher glauben wir, dass eine öffentliche und gut begründete Zurückweisung der Fehlinterpretation wissenschaftlicher Befunde einen wirksamen Beitrag zum Internationalen Jahr des Friedens 1986 und zu künftigen Friedensbemühungen leisten kann. Der Missbrauch wissenschaftlicher Theorien und Befunde zur Rechtfertigung von Gewalt und Krieg ist nicht neu, sondern begleitet die gesamte Geschichte der modernen Wissenschaften. So wurde beispielsweise die Evolutionstheorie dazu benutzt, nicht nur den Krieg zu rechtfertigen, sondern auch Völkermord, Kolonialismus und die Unterdrückung der Schwächeren. Wir legen unsere Position in fünf Thesen dar. Wir sind uns dessen bewusst, dass noch weit mehr zu Gewalt und Krieg vom Standpunkt unserer Disziplinen zu sagen wäre; wir beschränken uns hier jedoch auf diese Kernaussagen als besonders wichtigen ersten Schritt.

1. Ethologie

Aus der Sicht der Ethologie (Verhaltensforschung) ist die Behauptung wissenschaftlich unhaltbar, der Mensch habe von seinen tierischen Vorfahren eine Tendenz Krieg zu führen geerbt. Zwar ist Kämpfen nahezu im gesamten Tierreich verbreitet; doch nur über wenige Fälle destruktiver, innerartlicher Kämpfe zwischen organisierten Gruppen in ihrer natürlichen Umwelt lebender Arten findet man Berichte, und in keinem Fall haben wir es mit Waffengebrauch zu tun. Das raubtiertypische Sich-Ernähren von anderen Arten hat nichts zu tun mit innerartlicher Gewalt. Kriegführen ist ein spezifisch menschliches Phänomen und kommt bei anderen Lebewesen nicht vor. Die Tatsache, dass sich die Kriegführung im Laufe der Geschichte radikal verändert hat, zeigt, dass sie ein Produkt der kulturellen Entwicklung ist. Biologisch ist Krieg vor allem in unserem Sprachvermögen verankert; Sprache macht es möglich, soziale Gruppen zu koordinieren, Technologien weiterzugeben und Werkzeuge zu verwenden. Aus biologischer Sicht ist Krieg möglich, aber nicht unvermeidbar wie auch die Unterschiede in der Art und der Häufigkeit des Kriegführens in verschiedenen Epochen und Regionen zeigen. Es gibt sowohl Kulturen, in denen über Jahrhunderte kein Krieg geführt wurde, als auch Kulturen, die zu bestimmten Zeiten regelmäßig Krieg geführt haben, zu anderen wiederum nicht.

2. Biogenetik

Aus der Sicht der Biogenetik ist die Behauptung wissenschaftlich unhaltbar, Kriegführen oder andere gewaltförmige Verhaltensweisen des Menschen seien genetisch vorprogrammiert. Gene spielen auf allen Funktionsebenen unseres Nervensystems eine Rolle; sie stellen aber ein Entwicklungspotential dar, das nur in Verbindung mit der ökologischen und sozialen Umwelt aktualisiert werden kann. Individuen variieren zwar anlagebedingt bezüglich ihrer Beeinflussbarkeit durch Erfahrung; letztlich jedoch bestimmt die Wechselwirkung zwischen ihrer genetischen Ausstattung und den Umständen, unter denen sie aufwachsen, ihre Persönlichkeit. Von seltenen krankhaften Fällen abgesehen, prädisponieren die Gene kein Individuum zur zwanghaften Ausübung von Gewalt; das gleiche gilt für das Gegenteil. Die Gene sind an der Entwicklung unserer Verhaltensmöglichkeiten mit beteiligt, bestimmen das Ergebnis aber nicht allein.

3. Evolutionsforschung

Aus der Sicht der Evolutionsforschung ist die Behauptung wissenschaftlich unhaltbar, im Laufe der menschlichen Evolution habe sich durch Selektion die Tendenz zu aggressivem Verhalten stärker durchgesetzt als andere Verhaltenstendenzen. Bei allen hinreichend gut erforschten Arten wird der Status innerhalb einer Gruppe durch die Fähigkeit zur Kooperation und zur Ausübung sozialer Funktionen, die für die Struktur dieser Gruppe von Bedeutung sind, erworben. "Dominanz" beinhaltet Anschluss an andere und soziale Bindungen. Obwohl aggressives Verhalten eine Rolle spielt, sind der Besitz und die Anwendung überlegener physischer Kraft nicht entscheidend. Wo bei Tieren die Selektion aggressiven Verhaltens künstlich gefördert wurde, führte das schnell zur Entwicklung hyper-aggressiver Individuen. Das bedeutet, dass der Selektionsmechanismus unter natürlichen Bedingungen die Aggression nicht besonders begünstigte. Wenn man experimentell entwickelte hyperaggressive Individuen in eine soziale Gruppe einführt, zerstören sie entweder deren Struktur, oder sie werden verjagt. Gewalt ist weder Teil unseres evolutionären Erbes noch in unseren Genen festgelegt.

4. Neurophysiologie

Aus der Sicht der Neurophysiologie ist die Behauptung wissenschaftlich unhaltbar, die Menschen besäßen ein "gewalttätiges Gehirn". Zwar ist unser Nervenapparat mit allen Voraussetzungen gewaltförmigen Verhaltens ausgestattet, aber er wird weder durch innere noch durch äußere Reize automatisch dazu aktiviert. Ähnlich wie bei den höheren Primaten und anders als bei den anderen Lebewesen filtern unsere höheren Gehirnprozesse entsprechende Reize, bevor wir auf sie reagieren. Wie wir reagieren, hängt davon ab, wie wir konditioniert und sozialisiert wurden. Nichts von unserer neurophysiologischen Ausstattung zwingt uns zu gewalttätigen Reaktionen.

5. Psychologie

Aus der Sicht der Psychologie ist die Behauptung wissenschaftlich unhaltbar, Krieg werde verursacht durch einen "Instinkt" oder "Trieb" oder irgendein anderes einzelnes Motiv. Die Geschichte der modernen Kriegsführung ist eine Geschichte der Entwicklung vom Übergewicht emotionaler Faktoren, die manche "Instinkte" oder "Triebe" nennen, zum Übergewicht kognitiver Faktoren. Krieg beinhaltet heute die institutionalisierte Nutzung von Persönlichkeitseigenschaften wie Gehorsamsbereitschaft, Beeinflussbarkeit oder auch Idealismus; soziale Fertigkeiten wie Kommunikation und Sprache; kognitive Prozesse wie Kosten-Nutzen-Kalkulation, Planung und Informationsverarbeitung. Die Technologie der modernen Kriegsführung verstärkt in besonderer Weise "gewalttätige" Persönlichkeitszüge, und zwar sowohl bei der Ausbildung des Kampfpersonals wie bei der Mobilisierung von Unterstützung für den Krieg seitens der Gesamtbevölkerung. Infolgedessen werden solche Züge oft fälschlicherweise als Ursachen statt als Folgen des ganzen Prozesses angesehen.

Schlussfolgerung

Aus all dem schließen wir: Biologisch gesehen ist die Menschheit nicht zum Krieg verdammt; sie kann sich aus der Knechtschaft eines auf biologische Argumente gestützten Pessimismus befreien und sich zu Selbstvertrauen und Zuversicht ermächtigen, um die in diesem Internationalen Friedensjahr und in den kommenden Jahren fälligen Veränderungen in Angriff zu nehmen. Zwar müssen diese Umgestaltungsaufgaben primär von Institutionen und von größeren sozialen Einheiten bewältigt werden, ihre Bewältigung hängt aber auch vom Bewusstsein des einzelnen ab, das entscheidend von einer pessimistischen oder einer optimistischen Perspektive geprägt ist. Wie Kriege in den Köpfen der Menschen entstehen, so entsteht auch der Friede in unseren Köpfen. Ein und dieselbe Spezies, die den Krieg erfunden hat, kann auch den Frieden erfinden. Jeder von uns ist dafür verantwortlich. Sevilla, 16. Mai 1986

Erstunterzeichner: David Adams, Psychologie, USA - S.A. Barnett, Ethologie, Australien - N.P. Bechtereva, Neurophysiologie, UdSSR - Bonnie Frank Carter, Psychologie, USA - José M. Rodríguez Delgado, Neurophysiologie, Spanien - José Luis Díaz, Ethologie, Mexiko - Andrzej Eliasz, Differentielle Psychologie, Polen - Santiago Genovés, Biologische Anthropologie, Mexico - Benson E. Ginsburg, Verhaltensgenetik, USA - Jo Groebel, Sozialpsychologie, BRD - Samir-Kuma Ghosh, Soziologie, Indien - Robert Hinde, Verhaltensforschung, England - Richard E. Leaky, Physikalische Anthropologie, Kenia - Taha M. Malasi, Psychiatrie, Kuwait - J. Martin Ramírez, Psychobiologie, Spanien - Frederico Mayor Zaragoza, Biochemie, Spanien - Diana L. Mendoza, Ethologie, Spanien - Ashis Nandy, Politische Psychologie, Indien - John Paul Scott, Verhaltensforschung, USA - Riitta Wahlström, Psychologie, Finnland.

Anmerkung:(1) Wir übernehmen hier - leicht bearbeitet - die von Albert Fuchs übersetzte Fassung der "Erklärung von Sevilla", die in Wissenschaft & Frieden 3-98 veröffentlicht wurde.